Hormone
Sie sind der Kurierdienst in unserem Körper. Mithilfe von Hormonen kommunizieren Organe und Zellen miteinander. Das macht sich auch in der Liebe bemerkbar. Wer versteht, wie die Liebesboten wirken, kann seinen Körper und seine Gefühle unterstützen. Nicht nur am Valentinstag
Sofia spürt es sofort: Etwas hat sich verändert. Ihre Nächte sind schlaflos, ihre Gedanken sprunghaft, der Appetit bleibt aus und ihr Herz rast wie nach einem Sprint. Gleichzeitig ist da dieses berauschende Hochgefühl, eine Energie, die sie förmlich schweben lässt. Krank? Nein, sie erlebt gerade die chemische Magie der Verliebtheit. Der Auslöser? Eine Einladung zum Date. Und jetzt regieren die Hormone – unsichtbare Regisseure, die Körper und Seele in einen aussergewöhnlichen Zustand versetzen.
Was sind Hormone?
Hormone (von griechisch „hormán“: antreiben, anregen) sind körpereigene Substanzen, die als Botenstoffe Informationen zwischen Organen und Zellen weitergeben. Sie spielen bei vielen, oft lebenswichtigen Vorgängen in unserem Organismus eine entscheidende Rolle. So regeln sie etwa Zuckerstoffwechsel und Energiehaushalt, Wachstum, Entwicklung und Fortpflanzung sowie Wasser- und Salzhaushalt. Sie werden in sogenannten Hormondrüsen (Schilddrüse, Bauchspeicheldrüse, Nebennieren, Eierstöcke, Hoden) gebildet. Auch im Gehirn werden Hormone produziert: im Hypothalamus (Bereich im Zwischenhirn) und in der Hypophyse (erbsengrosse Drüse an der Basis des Gehirns). Die Hormondrüsen geben Hormone in die Blutbahn ab. So gelangen sie zu allen Zellen des Körpers. Doch entfalten sie ihre Wirkung nicht bei jeder Zelle, sondern nur bei denen mit entsprechenden Rezeptoren. Jede Hormonart hat eine eigene Andockzelle, an die sie sich ankoppeln kann. Dabei passen Hormon und Rezeptor zusammen wie Schlüssel und Schloss. So können Organe gezielt miteinander kommunizieren.
An vielen Vorgängen in unserem Körper sind verschiedene Hormone beteiligt, die ihrerseits mehrere Funktionen erfüllen. Das gilt besonders für die Liebe, an der gleich ein ganzer Hormoncocktail beteiligt ist. Woraus dieser Cocktail besteht und was er bewirkt, erklären wir im Folgenden.
Wenn die Chemie stimmt …
Die meisten Menschen glauben an die grosse Liebe. Doch damit es dazu kommt, reicht nicht allein der Wille oder ein attraktives Gegenüber. Die Chemie muss stimmen, wenn sich zwei Menschen finden sollen. Oder anders gesagt: Die Botenstoffe in unserem Körper müssen tanzen. Und zu Beginn einer Liebe ist es geradezu ein Rock ’n’ Roll. Dafür sorgt ein gut gemixter Liebescocktail aus Glückshormonen wie Dopamin, Serotonin, Oxytocin und den opiumähnlichen Endorphinen mit wohldosierten Zusätzen von Stressboten wie Adrenalin und anderen Signalstoffen.
Euphorie und Herzschmerz
Dieses Wechselbad der Emotionen erlebt auch Sofia. Sie ist auf Wolke sieben – und ihr Körper macht Überstunden. Seit ihr Schwarm ihr Interesse erwidert hat, gleicht ihr Gefühlsleben einer Achterbahn. Pulsrasen, Herzklopfen, feuchte Hände und dieses unvergleichliche Flattern im Bauch: pure Euphorie. Kein Wunder, denn der wahre Star dieses Liebesrauschs ist Dopamin – das Verliebtheitshormon, das uns den ultimativen High-Effekt beschert. Es ist verantwortlich dafür, „dass verliebte Männer und Frauen abhängig von ihrer romantischen Beziehung sind, sich begierig danach sehnen, mit ihrem Liebhaber vereint zu sein“, so die New Yorker Anthropologin Helen Fisher, die im Computertomografen die Gehirnaktivität von 40 frisch verliebten Studentinnen und Studenten untersuchte. „Die Symptome der Verliebtheit lassen sich mit der Abhängigkeit von Drogen vergleichen, die ebenfalls in Verbindung mit erhöhten Dopaminwerten steht.“* Verliebtheit ist also tatsächlich eine Art Rauschzustand.
Paradoxerweise herrscht bei frisch Verliebten ein Mangel an einem anderen Glückshormon: Ihr Serotoninspiegel sinkt. Normalerweise ist das ein Anzeichen für Angstzustände, Depressionen und Zwangsstörungen. Das erklärt auch die Kehrseite des Verliebtseins: Neben all der Euphorie schleicht sich bei Sofia immer wieder diese nagende Angst ein. Warum meldet er sich nicht? Minuten fühlen sich wie Stunden an, während sie nervös auf ihr Handy starrt, den Bildschirm nahezu hypnotisiert. Der Grund? Verliebtheit ist nicht nur ein Höhenflug, sondern auch ein Balanceakt zwischen Glücksrausch und Verlustangst. Der sinkende Serotoninwert, so vermuten Forscher, ist auch der Grund, warum Verliebte fast zwanghaft an ihren Partner denken. Ein kurzfristiger „Hirnschaden“, wie es der Neurologe António R. Damásio von der Universität Iowa* bezeichnet? Nun, vielmehr ist diese Verliebtheit mit all ihren Auf und Abs vor allem „die von der Natur eingerichtete Initialzündung, die unsere Fortpflanzung garantieren soll“.* Und eine wichtige Aufgabe in dieser Hinsicht erfüllt auch das Hormon Oxytocin.
Ein biochemisches Bindemittel
Wenn wir verliebt sind, können wir die Hände nicht voneinander lassen: Wir halten Händchen, küssen, umarmen und streicheln uns. Das hat die Natur clever eingerichtet, denn durch die Berührungsreize wird das sogenannte Kuschelhormon Oxytocin ausgeschüttet. Es spielt eine wichtige Rolle beim Orgasmus und bei der Geburt (Wehen). Und wenn die frischgebackene Mutter ihr Neugeborenes zum Stillen anlegt, verstärkt das Hormon die emotionale Bindung von Mutter und Kind. Auch bei Verliebten wird Oxytocin ausgeschüttet und festigt so die Partnerbindung. Das hat eine Magnetresonanztomograf-Untersuchung mit Paaren ergeben, die durchschnittlich zweieinhalb Jahre zusammen waren: „Ob romantische Liebe oder die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind: Die Biologie sorgt dafür, dass sich zwei Menschen aneinanderbinden“, so Neurowissenschaftler Prof. Andreas Bartels, der am University College London in die Gehirne der Verliebten geblickt hat und heute an der Uni Tübingen forscht.
#expertentipp
Mein Tipp
„Wenn die Verliebtheit nachlässt, beginnt die wahre Arbeit der Liebe. Kleine Gesten wie gemeinsame Quality-Time, ehrliche Gespräche oder eine unerwartete Liebesbotschaft helfen, die Verbindung zu stärken und die Beziehung lebendig zu halten.“
Daniel Laux,
Leiter Sozialberatung Coop
Übergang zur Langzeitliebe
Der Liebesrausch des Anfangs hält laut Forschern nur etwa 30 Monate an. Amors Nebel lichtet sich, der Alltag kehrt ein. Was folgt danach? Was wie ein Ende der Liebe aussieht, ist nur das Ende des Dopaminrauschs und der Anfang von Zuneigung, Vertrauen und Verbundenheit. Sind wir bereit, mit Geduld und Neugierde weiterzumachen, startet ein neues Programm des Liebeshormonnetzwerks. Der Serotoninspiegel pendelt sich wieder auf ein Normallevel ein. Das Kuschelhormon Oxytocin und seine Entsprechung Vasopressin übernehmen als Bindungshormone bei Frau und Mann die Regie in der Partnerschaft. Sämtliche Glückshormone stellen sich auf das Level „Zufriedenheit und Wohlbefinden“ ein. Auch die Stresshormone ziehen sich zurück. Der anfängliche euphorische Liebesrausch weicht einer längeren Bindungsphase mit ausgeglichenem Hormonspiegel. Wie lange wir das aufrechterhalten, liegt letztlich bei uns.
schön
Ein Kuss
trainiert alle 34 Gesichtsmuskeln, pusht Immunsystem, Stoffwechsel – und Liebeshormone.
Ein Tanz
zu zweit zur Lieblingsmusik lässt auch Endorphine & Co. tanzen.
Ein Dinner
zu zweit ist ein sinnlicher Genuss, der das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert.
Ein Kompliment
pusht Glückshormone, vor allem Dopamin.
Wo bleibt die Magie der Liebe?
Trotz all der nüchternen Erkenntnisse über die Funktion von Liebeshormonen hält ein Wissenschaftler wie Prof. Andreas Bartels die Liebe immer noch für „etwas Magisches“. Hormone steuern zwar unseren Organismus und unsere Gefühle in Sachen Liebe, aber wenn wir wissen, wie dieses System funktioniert, können wir doch einiges tun, um den Zauber zu bewahren. Unsere Psyche und unsere Lebenserinnerungen spielen nämlich auch eine wichtige Rolle. Wir sehnen uns nach Romantik, das ist durch Erziehung und Bildung – danke, ihr Dichter und Denker! – tief in uns verankert. Warum also nicht auf die Magie der Oldschool-Romantik setzen, um die Liebe neu zu entfachen? Überraschend zeitlos und im digitalen Zeitalter fast revolutionär: analoge Gesten mit grossem Effekt. Handgeschriebene Liebesbriefe, echte Komplimente, ein sinnliches Dinner zu zweit oder ein ausgelassener Tanz – all das verbindet uns auf einer tieferen Ebene. Wissenschaftlich bewiesen, emotional unschlagbar und, ja, einfach zauberhaft.
Die vier klassischen Liebeshormone kurz erklärt plus: weitere Signalstoffe als Amors Helfer
Endorphine
Kurzform für „endogene Morphine“. Sie werden im Gehirn (Hypophyse & Hypothalamus) produziert. Lindern Schmerzen und sorgen für Wohlgefühl. Bekannt als Glückshormone.
Serotonin
Gewebshormon & Neurotransmitter. Wird im Nervensystem gebildet. Steuert Schmerzempfinden, Gedächtnis, Schlaf, emotionale Prozesse, Sexual- und Essverhalten. Bei Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen ist sein Wert zu niedrig.
Dopamin
Wird in Nervensystem und Nebenniere gebildet. Steigert die Motivation und die Vorfreude auf Belohnung. Das Glückshormon gilt unter Forschern als Verliebtheitsdroge.
Oxytocin
Produziert im Hypothalamus. Wird bei engem Körperkontakt (vor allem beim Stillen) ausgeschüttet, gilt als Kuschelhormon. Sorgt für Muskelkontraktionen bei Orgasmus & Geburt (Wehen). Fördert zwischenmenschliche Bindung.
Noradrenalin
Der Neurotransmitter ist ein „Stresshormon“, eng verwandt mit Adrenalin, und wird im Nebennierenmark gebildet. Er ist der wichtigste anregende Botenstoff in unserem Nervensystem, fördert u. a. Aufmerksamkeit und Konzentration, beeinflusst den Wach-Schlaf-Rhythmus, das Sexualverhalten und reguliert Emotionen.
Adrenalin
Das Stresshormon wird im Nebennierenmark gebildet und bei Gefahr ausgeschüttet. Es wirkt wie ein Aufputschmittel – auch in der Liebe: Der Blutdruck steigt, das Herz schlägt schneller, die Pupillen erweitern sich – und im Bauch kribbelt es.
Östrogen
Das weibliche Sexualhormon wird vor allem in den Eierstöcken gebildet und ist wie seine männliche Entsprechung für die Entwicklung der Geschlechtsorgane zuständig. Darüber hinaus stimuliert es nicht nur die weibliche, sondern auch die männliche Libido. Genau, auch Männer haben Östrogen im Blut …
Vasopressin
Das Hormon, produziert im Hypothalamus, ist in erster Linie zuständig für die Durchblutung der Genitalorgane und die Verminderung des Harndrangs. Darüber hinaus wirkt es bei Männern bindungsfördernd beim Sex: Dabei erzeugen sie geringe Mengen Oxytocin und grosse Mengen Vasopressin. Bei Frauen ist es umgekehrt. Quasi ein männlicher Bindungshelfer.
Testosteron
Das männliche Sexualhormon wird vor allem in den Hoden gebildet, beeinflusst die Entwicklung des männlichen Körperbaus, der Geschlechtsorgane, lässt den Bart spriessen und die Stimme tiefer werden. Es stimuliert sexuelle Aktivität und Fantasie, Erektion und Orgasmus. Zu Beginn einer Partnerschaft sinkt sein Spiegel bei Männern, bei Frauen (ja, auch sie produzieren Testosteron) steigt er an – und steigert ihre sexuelle Lust.
Pheromone
Pheromone (Kofferwort aus griech. „phérein“ für „übermitteln“ und Hormon) dienen als Erkennungs- und Sexuallockstoff und werden unbewusst über Riechepithelzellen aufgenommen. Bei Tieren beeinflussen sie die Partnerwahl. Ob und wie sie das auch bei uns tun, darüber sind sich Forscher uneins. Zumindest wurden Pheromone auch beim Menschen nachgewiesen.
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