Leben Lang
Wir alle träumen von einem langen, gesunden Leben. Doch wie lässt sich das erreichen? Mit Longevity. Das steckt hinter dem Trend
Lange zu leben, das wünschen sich die meisten Menschen. Doch wer lange lebt, gewinnt nicht nur gesunde Jahre hinzu. «Die Menschen werden älter, aber sie sind auch länger krank», sagt Dr. Joris Deelen, Forschungsgruppenleiter am Kölner Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns. Das stetig fortschreitende Alter sei Hauptrisikofaktor für viele schwere Krankheiten wie Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Demenz. Da stellt sich die Frage: Wie können wir möglichst fit und glücklich möglichst alt werden? Darauf will der Longevity-Trend die Antwort geben.
Was bedeutet Longevity?
Der Begriff ist ein Kofferwort aus lateinisch «longus» (lang) und «vita» (Leben), wird «Londschehveti» ausgesprochen und bedeutet Langlebigkeit. Der Longevity-Trend stammt aus den USA, wo seine Anhänger sich selbst verjüngen wollen und das Alter als Krankheit betrachten. Die Radikalsten unter ihnen – wie US-Millionär Bryan Johnson – träumen gar von der Abschaffung des Todes durch Technik und Medikamente. Hierzulande geht es vor allem darum, den Altersprozess zu verlangsamen, altersbedingte Beschwerden zu vermeiden und die Lebensqualität bis ins hohe Alter zu bewahren. Da der Einfluss der Gene auf unseren Alterungsprozess «nur» auf etwa 10 bis 15 Prozent geschätzt wird und der individuelle Lebensstil sowie äussere Einflüsse eine entscheidendere Rolle spielen, haben wir in Sachen Longevity einiges selbst in der Hand – Stichwort Prävention. Dabei können wir uns an den gesund alternden Menschen in den «blue zones» orientieren.
Hautalterung
Die Zeit hinterlässt ihre Spuren am sichtbarsten auf der Haut, die schon ab 20 an Spannkraft verliert. Sie wird immer trockener und empfindlicher, Falten und Altersflecken bilden sich. Das lässt sich zwar nicht stoppen, aber verlangsamen: durch spezielle Pflege, UV-Schutz und einen gesunden Lebensstil.
Einflussfaktoren
Wie schnell sich die Haut jedes Menschen im Laufe der Zeit verändert, hängt von mehreren Kriterien ab: Umwelteinflüsse wie UV-Strahlung und freie Radikale, erbliche Veranlagung durch Hormone und Hauttyp sowie individueller Lebensstil (Ernährung, Sport, Genussgifte). Auch Stress spielt eine grosse Rolle.
Pflege
Je älter die Haut, desto reichhaltiger muss die Pflege sein. Sie benötigt vor allem Lipide, damit ihre Barrierefunktion erhalten bleibt und Entzündungen verringert werden. Für ein glatteres Hautbild sorgen Wirkstoffe wie Kollagen, Elastin, Hyaluronsäure, Urea und Coenzym Q10. Tagsüber eine lipidreiche Creme mit UV-Schutz verwenden, nachts eine regenerierende Creme.
Naturkraft
Auch natürliche Beautyhelfer unterstützen reife Haut: Aloe vera spendet Feuchtigkeit, Avocadoöl stärkt die Hautbarriere, Jojoba- und Mandelöl wirken rückfettend, Rosmarinöl zusätzlich antibakteriell. Bisabolol (Kamillenextrakt) beruhigt die Haut.
Die blauen Zonen
Auf der Suche nach den Geheimnissen der Langlebigkeit bereiste der amerikanische Bestsellerautor Dan Buettner 2005 jene Regionen, in denen überdurchschnittlich viele Hundertjährige leben, und nannte sie «blue zones». Dazu zählen unter anderem die Inselgruppe Okinawa im Süden Japans, die griechische Insel Ikaria, die Insel Sardinien und die Halbinsel Nicoya in Costa Rica. Mittlerweile wird auch das Gebiet Cilento in der italienischen Provinz Salerno zu den blauen Zonen gerechnet. Was all diese Methusaleme verbindet? Eine vorwiegend pflanzliche, kalorienarme, ballaststoffreiche Ernährung mit frischem, saisonalem Gemüse und Obst aus dem eigenen Garten und der Region, mehr Fisch und Meeresfrüchte als Fleisch, keine Drogen, kein Nikotin und nur mässig Alkohol (das berühmte Gläschen Rotwein), ein starker Gemeinschaftssinn mit vielen sozialen Kontakten, Gelassenheit und wenig Stress, genügend Schlaf (im Schnitt 8 Stunden pro Tag inklusive Siesta), körperliche Bewegung an der frischen Luft. Fitnesstracker und andere Gesundheitsgadgets dagegen findet man bei ihnen nicht. So ergibt sich ein kleiner Langlebigkeitsleitfaden für uns Normaleuropäer, die sich keine teuren Therapien in einer Longevity-Klinik leisten können.
Essen
Eine ausgewogene, nährstoffreiche Ernährung, die sich an der mediterranen Küche orientiert, senkt das Risiko für altersbedingte Krankheiten und fördert die Langlebigkeit. Auf dem Speiseplan stehen viel frisches Gemüse, Obst, Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse und zwei- bis dreimal pro Woche Fisch. Knoblauch, Ingwer und Kräuter wie Rosmarin zum Würzen verwenden. Rosmarin steigert zum Beispiel die Gehirnleistung, stärkt das Immunsystem und kräftigt Herz und Blutgefässe. Dazu Olivenöl, das dank der einfach und mehrfach ungesättigten Fettsäuren antioxidativ, entzündungs- und gerinnungshemmend wirkt und die Blutgefässe elastisch hält. Fleisch, verarbeitete Lebensmittel, ungesunde Fette und Zucker dagegen sollten nur selten verzehrt werden. Tipp: auch mal Meeresalgen probieren (zum Beispiel Nori oder Wakame). Sie stehen auf dem Speiseplan der langlebigen Japaner auf Okinawa. Ihr hoher Gehalt an Antioxidantien, Vitaminen, Mineralien und Proteinen macht Algen zu Anti-Aging-Stars. Apropos Okinawa: Vor allem hier befolgen die Menschen die konfuzianische Regel «Hara hachi bu»: Iss nur so viel, bis dein Magen zu 80 Prozent gefüllt ist. Auch durch Kalorienreduktion lässt sich das Risiko für altersbedingte Erkrankungen senken. Einen vergleichbaren Effekt hat Intervallfasten, bei dem phasenweise auf das Essen verzichtet wird (zum Beispiel am Abend). Ist die Kost ausgewogen, sollte kein Nährstoffmangel herrschen. Falls doch, kann das Defizit nach ärztlicher Rücksprache durch Nahrungsergänzungsmittel ausgeglichen werden.
Trinken
Was das angeht, empfehlen Gesundheitsorganisationen die tägliche Mindestmenge von 1.5 Liter Flüssigkeit, damit unser Organismus gut funktioniert. Schliesslich besteht er je nach Alter zu 50 bis 80 Prozent aus Wasser. An heissen Tagen und bei körperlicher Anstrengung kann die Menge um das Drei- bis Vierfache ansteigen. Ideal: Hahn- oder Mineralwasser, Saftschorlen, ungesüsster Früchte-, Kräuter- oder Grüntee (Kaffee und Schwarztee nur massvoll). Und Alkohol? Drei- bis fünfmal pro Woche darf es ein Glas Wein oder Bier sein. Mit jedem weiteren Glas geht Lebenszeit verloren.
Übrigens: Die Zellgifte Alkohol und Nikotin verstärken sich gegenseitig in ihrer krebserregenden Wirkung. Ein Rauchstopp kann das Leben um bis zu zehn Jahre verlängern, selbst 60-Jährige gewinnen damit eine gesündere Lebenszeit hinzu.
Bewegung
Die Weltgesundheitsorganisation WHO rät jedem Erwachsenen, sich mindestens 2.5 bis 5 Stunden pro Woche zu bewegen. Damit sind moderate Aktivitäten gemeint wie Velofahren, flottes Spazierengehen und Schwimmen, bei intensivem Sport reicht die Hälfte der Zeit. Jede Bewegung im Alltag zählt – also nehmen wir die Treppe statt des Aufzugs und legen kurze Wege zu Fuss oder per Velo zurück. Warum? Weil körperliche Bewegung unser Herz-Kreislauf- und Immunsystem pusht. Am besten an der frischen Luft, denn unsere Körperzellen brauchen Sauerstoff.
Tipp: Im Alter schwindet die Muskulatur. Moderates Krafttraining und Pilates stärken sie.
Auch wer gerne tanzt, macht alles richtig. Tanzen bis ins hohe Alter fördert Gedächtnis, Koordination, Balance und wirkt Demenz entgegen. Ganz abgesehen von den Glückshormonen, die dabei ausgeschüttet werden …
Schlaf
Wer regelmässig genügend und gut schläft, kann körperlich und geistig mehr leisten, wird seltener krank und fühlt sich insgesamt wohler. Während unsere Muskeln Pause machen, sind Gehirn, Immunsystem und Körperzellen aktiv. Die Zellregeneration läuft auf Hochtouren, im Gehirn bilden sich neue Nervenzellen. Unser Denkorgan entgiftet sogar und spült zellulären Abfall (mitverantwortlich für Alzheimer) aus dem Zentralnervensystem. Ideale Schlafdauer, um das Herz-Kreislauf-System in Schuss zu halten: 7 bis 8 Stunden.
Powerfood
Eine ausgewogene Ernährung ist das A und O für körperliche und geistige Fitness im fortgeschrittenen Alter. Zu den Lebensmitteln, die laut Experten regelmässig verzehrt werden sollten, gehören Nüsse, Gemüse und Obst.
Erdnuss:
Reich an Proteinen, Magnesium, B- und E-Vitaminen, senkt den Cholesterinspiegel und stärkt die Gehirnfunktion (Brainfood).
Avocado:
Enthält Folsäure, die Vitamine C, B6, D und E, ungesättigte Fettsäuren und Ballaststoffe, wirkt entzündungshemmend und positiv auf das Herz-Kreislauf-System.
Stressabbau
Chronischer Stress kann nicht nur Bluthochdruck, hohen Blutzucker, Übergewicht, depressive Episoden, Schlafstörungen und mehr verursachen, er beschleunigt auch den Alterungsprozess. Stressgeplagte leiden an chronischen Entzündungen (Inflammaging) und entwickeln schneller Alterskrankheiten wie Alzheimer oder Parkinson. Ideal, um Körper und Geist wieder zur Ruhe zu bringen: progressive Muskelentspannung nach Jacobson, Meditation, Yoga, Sauna, Waldspaziergänge.
Soziale Kontakte
Wer in eine Familie eingebunden ist, sich regelmässig mit Freunden trifft, in einem Verein aktiv ist oder sich ehrenamtlich engagiert, hat gute Chancen, länger zu leben. Ein stabiles soziales Netz schützt vor Vereinsamung und damit verbundenen Depressionen. Der Austausch mit Gleichgesinnten sorgt nicht nur für Glücksmomente, sondern hält auch das Gehirn auf Trab.
Selbstfürsorge
Das bedeutet, dass wir für uns selbst einstehen und die Verantwortung für Wohlfühlzeiten übernehmen – ohne schlechtes Gewissen. Das hat nichts mit Egoismus zu tun. Wer gut auf sich achtet, sorgt auch dafür, dass genügend Energie für andere übrig bleibt. Beim Prinzip der Selbstfürsorge handeln wir laut WHO gesundheitserhaltend und präventiv gegen Krankheiten. Wir hören auf unsere innere Stimme und setzen Massnahmen gegen Stress und Druck von aussen. Pausen und Zeit für sich sind Grundlage für Erholung und Gesunderhaltung. Und wenn wir uns dazu noch im positiven Denken üben, regelmässig zu Vorsorgeuntersuchungen gehen, dann kann das Altern easy sein …
Biohacker
sind Menschen, die versuchen, das Optimum aus Körper und Geist herauszuholen. Mit Wearables, Geräten und Implantaten überprüfen sie ihre Körper- und Schlafdaten. Sie schlucken Hormone und Nahrungsergänzungsmittel und unterziehen sich speziellen Diäten und Therapien – meist im Selbstversuch. Biohacking ist mehr Lifestyle als wissenschaftliche Methode.
Positv denken
spielt eine wichtige Rolle für unser Wohlbefinden. Es ist die bewusste Entscheidung, sich auf die positiven Aspekte des Lebens zu konzentrieren, selbst in schwierigen Situationen. Studien zeigen, dass optimistische Menschen seltener an Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden und eine höhere Lebenserwartung haben.
Longevity in der Schweiz
Auch hierzulande leben die Menschen immer länger: Ende 2023 erfasste das Bundesamt für Statistik 2’086 Personen, die 100 Jahre und älter waren. Über 80 % davon Frauen. Die Prognose: Statistisch gesehen wird jedes 3. im Jahr 2023 geborene Mädchen und jeder 6. Junge mindestens 100 Jahre alt.
Longevity radikal
Das betreibt der US-Millionär und Biohacker Bryan Johnson. Der 47-Jährige arbeitet mit sich selbst als Versuchskaninchen an der ewigen Jugend. Dafür gibt er rund 2 Mio. Dollar pro Jahr aus, nimmt täglich über 100 Pillen ein, unterzieht sich einem strengen Fastenregime und lässt seine Körperfunktionen 24/7 von 30 Mitarbeitern überwachen. Er liess sich sogar Blutplasma seines Teenagersohns spritzen. Johnsons Credo: «Der Tod ist ein technisches Problem, das sich lösen lässt.»
Longevity-Vorbild
im besten Sinne ist die New Yorker Stilikone und Designerin Iris Apfel, die 2024 mit 102 Jahren verstarb. Warum? Weil sie dem Älterwerden mit bewundernswerter Gelassenheit («Alter ist nur eine Zahl») und positiver Einstellung begegnete: «Sei neugierig und hab Spass.» Sie bezeichnete sich selbst als «ältesten Teenager der Welt», machte mit 97 als Model Karriere und wurde mit ihrem Humor, ihrer Kreativität und ihrem ausgefallenen Look zu einem Role Model – nicht nur für Bestager.
Fotos: stocksy