Aus dem Bauch heraus
Das trifft auf so manche Entscheidung zu. Und beschreibt zugleich die Bedeutung des Multitalents Darm. Denn er verdaut nicht nur einiges, sondern kann noch viel mehr. Sein Einfluss ist grösser, als wir denken …
Zugegeben: Das Thema «Darm» erscheint auf den ersten Blick nicht gerade sexy … Weil wir in erster Linie an ihn denken, wenn wir Probleme mit ihm bekommen, wie Durchfall, Verstopfung, Blähungen, Krämpfe etc. Eine geregelte Verdauung mag für uns seine wichtigste Funktion sein, aber das Superorgan kann noch viel mehr. Es sorgt nicht nur dafür, dass unser Körper die aus der Nahrung gewonnene Energie und Nährstoffe nutzen kann, sondern ist auch ein wichtiger Teil unseres Immunsystems, das Krankheitserreger abwehrt. Das ist längst allgemein bekannt. Weniger bekannt dagegen ist, dass unser Verdauungsorgan auch unsere Stimmung beeinflussen kann. Dabei spielt das Mikrobiom des Darms eine grosse Rolle. Die Macht seiner Mikroben rückt inzwischen nicht nur in Wissenschaft und Medizin immer mehr in den Fokus, sondern auch in unserem Lifestyle – Stichwort Probiotika. Werfen wir also mal einen Blick in das geheimnisvolle Universum unserer Körpermitte.
Standleitung zum Gehirn
Sind wir verliebt, haben wir «Schmetterlinge im Bauch», bei Ärger verspüren wir dort «Wut», schlechte Nachrichten müssen wir erst mal «verdauen» und manche Entscheidungen «bereiten uns Bauchschmerzen». Schon erstaunlich, wie treffend der Volksmund unseren Darm aka Bauchhirn beschreibt. Das kommt nicht von ungefähr. Denn der Darm verfügt über ein eigenes Nervensystem mit über 100 Millionen Nervenzellen und viele davon führen direkt zum Gehirn. Verdauungstrakt und Darmbakterien stehen in ständigem Austausch mit den grauen Zellen im Kopf. Diese enge Verbindung nennen Experten die «Darm-Hirn-Achse». Ob es sich dabei um eine Achse des Guten handelt, hängt auch vom Darmmikrobiom und dessen Vielfalt ab. Denn die Stoffwechselprodukte, Vitamine und Botenstoffe, welche die Mikroorganismen freisetzen, haben einen indirekten Einfluss auf unserer Denkorgan. Bauchhirn und Kopfhirn sind im wahrsten Sinne des Wortes durch ein enges Band verknüpft: den Vagusnerv. Über diese Standleitung gelangen Signale aus dem Darm in Regionen unseres Gehirns, die unsere Stimmung und Emotionen beeinflussen können. Das, was wir landläufig als «Bauchgefühl» bezeichnen, existiert also wirklich.
Gesund & munter
Ist der Darm gesund, freut sich der Mensch Denn was wir essen, stärkt entweder die gesundheitsfördernden Darmbakterien oder die diejenigen, die uns Probleme bereiten können. Fest steht, dass ein abwechslungsreicher Speiseplan für die wichtige Artenvielfalt im Ökosystem Darm sorgt. Hier ein paar probiotische und ballaststoffreiche Tipps:
Obst und Gemüse (5 am Tag) als Snack für zwischendurch oder gekocht geniessen. So kommen wir (d. h. unser Darmmikrobiom) in den Genuss sämtlicher Nährstoffe.
Fermentiertes Gemüse wie Sauerkraut, Kimchi, eingelegte Gurken etc. wird durch natürliche, von Mikroorganismen unterstützte Gärung haltbar gemacht. Vorteile: keine künstlichen Konservierungsstoffe (stören die Darmflora) und die Vitamine bleiben erhalten.
Sauermilchprodukte wie Joghurt, Kefir und Ayran liefern nicht nur wichtige Nährstoffe und Proteine. Ihre Milchsäurebakterien wirken sich auch positiv auf die Darmflora aus.
Vollkorngetreide bzw. -produkte wie Haferflocken und Vollkornnudeln versorgen uns mit vielen Ballast- und Mineralstoffen. Sie sind gesünder als Weissmehlprodukte.
Brot aus Sauerteig ist leichter verdaulich und der Körper kann die enthaltenen Nährstoffe besser aufnehmen.
Die Macht der Mikroben
In und auf unserem Körper siedeln Aberbillionen von Mikroorganismen wie Bakterien, Viren und Pilze. Sie spielen eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden. Dieses komplexe Ökosystem heisst Mikrobiom. Es ist so individuell wie ein Fingerabdruck. Die grösste Ansammlung mit 100 Billionen Mikroorganismen findet sich im Darm, hauptsächlich Bakterien. Die bekanntesten unter ihnen sind Lactobazillen (Milchsäurebakterien) und Bifidobakterien. Die Darmbakterien beeinflussen nicht nur Verdauung, Stoffwechsel und Immunsystem, sondern können sogar unsere «Gehirnchemie» und damit unsere Gefühle beeinflussen: Positive Darmbakterien können beispielsweise die Symptome von Depressionen mindern und Angst- sowie Stressgefühle reduzieren. Dass unser Darm mehr ist als ein Verdauungsorgan, ist längst bekannt.
Doch was passiert, wenn die feine Balance in unserem Darm gestört wird – etwa durch Antibiotika? Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, untersuchten Forscher in einer Studie mit Mäusen, wie sich eine veränderte Darmflora auf das Verhalten auswirkt. Dabei zeigte sich: Nach der Gabe von Antibiotika war das Mikrobiom der Tiere aus dem Gleichgewicht – und die Mäuse verhielten sich auffallend ängstlicher. Erst als sich das Mikrobiom von selbst oder durch sogenannte Probiotika (also «gute» Darmbakterien) erholte, normalisierte sich auch ihr Verhalten. Prof. Dr. Michaela Axt-Gadermann von der Hochschule Coburg hat mehrere Sachbücher zum Thema Darm verfasst und beschreibt den Einfluss der Darmbakterien so: «Produzieren sie Miesepeterhormone und Motzstoffe, sind wir schlecht drauf. Mixen sie uns aber ein Gebräu aus Zufriedenheitstransmittern, Glückssubstanzen und Optimismusessenzen, sind wir lustig, mutig, zufrieden und glücklich.» Durch unsere Ernährungsweise haben wir es selbst in der Hand, welche Mikroben im Darm gefördert werden.
Wo ist das nächste Kosmetikstudio?
In unserem Bauch! Denn «der lange Arm der Darmflora reicht weit über die Körpermitte hinaus und beeinflusst mit zahlreichen Hormonen, Botenstoffen und Vitaminen auch den Zustand von Haut und Haaren», sagt Prof. Axt-Gadermann. Unsere Darmflora beeinflusst viele Prozesse im Körper – möglicherweise auch unsere Haut. Doch erste Studien deuten an, dass ein gesunder Darm sich positiv auf das Hautbild auswirken kann. So zeigte eine koreanische Studie, dass Teilnehmende nach drei Monaten mit dem Probiotikum «Lactobacillus plantarum» über eine verbesserte Hautfeuchtigkeit berichteten. Auch wenn solche Ergebnisse mit Vorsicht zu betrachten sind – sie geben Hinweise darauf, dass die Verbindung zwischen Darm und Haut durchaus spannend ist. Auch sensible, überempfindliche Haut freut sich über Probiotika: In einer französisch-schweizerischen Studie nahmen die Teilnehmer zwei Monate lang das Milchsäurebakterium «Lactobacillus paracasei» ein. Danach spannte und juckte ihre Haut deutlich weniger. Inzwischen ist bekannt, dass bei Hauterkrankungen wie Neurodermitis, Schuppenflechte, Akne oder Rosazea nicht nur die Hautflora, sondern auch das Darm-Mikrobiom gestört sein kann – eine sogenannte Dysbiose. Darmgesundheit und Hautgesundheit gehen also Hand in Hand. Die Wissenschaft nennt diese Verbindung «Darm-Haut-Achse» (gut-skin axis). Diese Connection nehmen sich immer mehr Beauty-Fans zu Herzen: Gut-skin health liegt im Trend.
Gefühlscocktail aus der Mitte
Darmbakterien können wichtige Botenstoffe oder deren Vorstufen produzieren. Sie können zum Beispiel die Bildung von Serotonin beeinflussen. Das sogenannte «Glückshormon» hat einen Einfluss auf unsere Stimmung und den Appetit. Da Serotonin die Vorstufe von Melatonin ist, kann das Mikrobiom indirekt auch unseren Schlaf beeinflussen.
Wahre Schönheit kommt von innen, so der Volksmund. Das nehmen wir wörtlich. Viele Ernährungsexperten und Dermatologen stimmen überein, dass eine ausgewogene Ernährung die Hautgesundheit unterstützt und das allgemeine Wohlbefinden fördert. Frisches Obst, knackiges Gemüse, aromatische Kräuter und Gewürze liefern wichtige Nährstoffe und Antioxidantien. Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte und Nüsse liefern uns Nahrungsfasern und zahlreiche Mineralstoffe. Dazu gehört auch Zink, das zur Erhaltung gesunder Haut, Haare und Nägel beiträgt.
Polyphenole
sind sekundäre Pflanzenstoffe, die in Obst (v. a. Beeren), Gemüse, Kaffee und dunkler Schokolade stecken. Sie haben antioxidative Eigenschaften. Im Dickdarm werden sie von bestimmten Bakterien weiterverstoffwechselt – dabei entstehen Verbindungen, die sich positiv auf Haut und Gesundheit auswirken könnten.
Biotin
ist ein wichtiges Vitamin für Haut und Haare. Ein Mangel kann zu trockener Haut und Haarausfall führen. Wir nehmen Biotin hauptsächlich über die Nahrung auf, aber auch einige Darmbakterien können es produzieren.
Antioxidantien
aus der Nahrung – etwa aus Beeren, grünem Tee oder dunkler Schokolade – können entzündungshemmend wirken und die Vielfalt der Darmflora positiv beeinflussen.
#probiotisch #präbiotisch
Die beiden Begriffe spielen nicht nur in der darmgesunden Ernährung eine Rolle, sondern stehen auch für einen neuen, vielversprechenden Ansatz in der Hautpflege.
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Probiotika sind Lebensmittel mit lebenden Mikroorganismen (v.a. Milchsäure- und Bifidobakterien), Präbiotika bezeichnen unverdauliche Nahrungs- bzw. Pflanzenbestandteile (Ballaststoffe), die den nützlichen Bakterien als Nahrung dienen und ihr Wachstum fördern.
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Pro- und präbiotische Inhaltsstoffe können das Hautmikrobiom unterstützen und die Hautfeuchtigkeit verbessern.
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Probiotische Kosmetika gibt es z. B. in Form von Mizellenwasser zur Gesichtsreinigung, Feuchtigkeitsseren, Gesichts- und Augencremes.
Der Darm in Zahlen
Unser Verdauungsorgan ist 5 bis 8 Meter lang und seine Oberfläche so gross wie ein Tennisplatz – die grösste Oberfläche unseres Körpers. Es verarbeitet im Lauf des Lebens rund 30 Tonnen Nahrung und 50’000 Liter Flüssigkeit. Der Darm besitzt mehr als 100 Millionen Nervenzellen – die zweitgrösste Ansammlung an Nervenzellen im Körper, nach dem Gehirn (100 Milliarden).
Die getrennten Zwillinge
… nennt Prof. Axt-Gadermann Kopfhirn und Bauchhirn, denn sie sind von Geburt an beste Freunde. Bei der Entwicklung des Embryos im Mutterleib wird der Darm als eines der ersten Organe gebildet. Seine Nervenzellen ähneln denen im Gehirn. Kein Wunder, denn die Nervenzellen im Kopf und im Bauch entwickeln sich während der Schwangerschaft aus demselben Gewebe.
Fotos: iStock, stocksy